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In unserem letzten Artikel vom 29. November 2024 mit dem Titel „VERORDGNUNG ÜBER DIE ALLGEMEINE PRODUKTSICHERHEIT“ haben wir über mehrere wichtige Änderungen der EU-Produktsicherheitsgesetzgebung berichtet – insbesondere über die Auswirkungen der Veröffentlichung der Verordnung (EU) 2023/988. In diesem Artikel berichten wir nun über einen weiteren wichtigen Rechtsakt in diesem Bereich, der am 18. November 2024 von der Europäischen Kommission (der „Kommission“) offiziell verabschiedet wurde: die EU-Richtlinie 2024/2853 (die „Richtlinie“).

Die Haftung der Hersteller für fehlerhafte Produkte ist seit langem im Unionsrecht verankert: bis zur Veröffentlichung der Richtlinie in diesem Jahr wurde dieser Bereich durch eine Richtlinie des Rates aus dem Jahr 1985 (85/374/EWG; die „Richtlinie von 1985“) geregelt. Die zunehmende Zahl von Verbraucherbeschwerden, die im Rahmen einer von der Kommission durchgeführten öffentlichen Konsultation und Folgenabschätzung untersucht wurden, führte jedoch zwangsläufig dazu, dass am 28. September 2022 eine Überarbeitung der Richtlinie von 1985 vorgeschlagen wurde. Es ist in der Tat überraschend, dass die Kommission dies nicht früher getan hat, angesichts der Tatsache, dass die EU-Gesetzgeber selbst in der täglichen Mitteilung der Kommission vom 14. Dezember 2023 von „zunehmend komplexen“ digitalen Produkten „wie Software und Systemen mit künstlicher Intelligenz“ sprachen.

Die durch die Richtlinie bewirkten Gesetzesänderungen sind keineswegs geringfügig, auch wenn sie wohl überfällig waren. Im Folgenden wird versucht, diese wesentlichen Änderungen in sechs übergreifenden Kategorien zusammenzufassen:

I. Der Verbraucher

Während in der Richtlinie von 1985 kein Versuch unternommen wurde, genau zu definieren, wer ein „Geschädigter“ ist, wurde dies in der neuen Richtlinie so weit wie möglich gefaßt: „jede natürliche Person, die einen durch ein fehlerhaftes Produkt verursachten Schaden erleidet“ (Art. 5(1)). Mit anderen Worten, nicht nur Verbraucher, sondern auch Privatpersonen haben das Recht, Ansprüche auf der Grundlage der verschuldensunabhängigen Haftung gemäß dieser Richtlinie geltend zu machen. Diese Änderung ist zwar subtil, erweitert aber den Kreis der potenziellen Kläger erheblich und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Sammelklagen im Bereich der Produkthaftung.

II. Der Produzent

In Artikel 3 der Richtlinie von 1985 wurde der „Hersteller“ in erster Linie als der Hersteller definiert, schloss aber auch den Lieferanten ein, falls dieser nicht innerhalb einer angemessenen Frist ermittelt werden konnte. Nach Artikel 8 des neuen Rechtsrahmens können nun alle folgenden „Wirtschaftsakteure“ für Schäden, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht wurden, haftbar gemacht werden:

(i) Der Hersteller des fehlerhaften Produkts;

(ii) Der Hersteller einer fehlerhaften Komponente, wenn diese Komponente unter der Kontrolle des Herstellers in ein Produkt integriert oder damit verbunden wurde und die Fehlerhaftigkeit dieses Produkts verursacht hat.

Sollte der Hersteller seinen Sitz außerhalb der Europäischen Union haben, so können auch die folgenden Akteure haftbar gemacht werden:

(i) Der Importeur des fehlerhaften Produkts;

(ii) Der Bevollmächtigte des Herstellers;

(iii) Wenn keiner der oben genannten, dann der Fulfilment-Dienstleister.

Entscheidend ist, dass die folgenden drei Einrichtungen nun ebenfalls potenziell haftbar sind:

(i) Jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt außerhalb der Kontrolle des Herstellers wesentlich verändert und es anschließend auf dem Markt bereitstellt oder in Betrieb nimmt.

(ii) Jeder Lieferant des fehlerhaften Produkts, wenn auf Antrag des Geschädigten die oben genannten Wirtschaftsakteure nicht innerhalb eines Monats nach diesem Antrag ermittelt werden können;

(iii) Jeder Anbieter einer Online-Plattform, die es Verbrauchern ermöglicht, Fernabsatzverträge mit Unternehmern abzuschließen, bei dem es sich nicht zugleich um einen Wirtschaftsakteur handelt.

So wie sich der Kreis der potenziellen Kläger vergrößert hat, so hat sich auch der Kreis der potenziellen Beklagten erweitert. Dies wird sich vor allem auf die Anbieter von Produkthaftpflichtversicherungen auswirken, deren Kunden nun dem Risiko von Ansprüchen ausgesetzt sind, die von einem weitaus größeren Spektrum potenzieller Kläger und Beklagter erhoben werden.

III. Das Produkt

Die vielleicht interessanteste Änderung der neuen Produkthaftungsrichtlinie ist die Ausweitung der Definition des Begriffs „Produkt“ auf „Elektrizität, digitale Konstruktionsunterlagen, Rohstoffe und Software“ (Art. 4). Traditionell schloss die Richtlinie von 1985 Software von der Definition eines Produkts aus, da sie als immateriell galt. Jetzt wird sie als eigenständiges Produkt betrachtet. Ebenso gelten Software-Updates als unter der Kontrolle des Herstellers stehend, entweder wenn der Hersteller ihre Integration, Verknüpfung oder Bereitstellung genehmigt oder zustimmt, oder wenn der Hersteller die Möglichkeit hat, die Updates selbst oder über einen Dritten bereitzustellen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Hersteller eines intelligenten Haushaltsgeräts der Bereitstellung von Software-Updates für das Gerät durch einen Dritten zustimmt (Erwägungsgrund 18).

IV. Schadenersatz

Die Definition des Schadensersatzes in Artikel 9 der Richtlinie von 1985 wurde ebenfalls erweitert und umfasst nun auch „medizinisch anerkannte Beeinträchtigungen an der psychischen Gesundheit“ sowie die „Vernichtung oder Beschädigung von Daten, die nicht für berufliche Zwecke verwendet werden“ (Artikel 6).

V. Defekte

Schließlich gibt es zwei wichtige Änderungen in Bezug auf die Definition und Bewertung eines Produktfehlers.

Erstens gibt es gemäß Artikel 7 der Richtlinie im Vergleich zu Artikel 6 der Richtlinie von 1985 nun wesentlich mehr Faktoren, die bei der Feststellung, ob ein Produkt als fehlerhaft anzusehen ist, zu berücksichtigen sind, einschließlich „sicherheitsrelevanter Cybersicherheitsanforderungen“. Auch die Berücksichtigung des „Zeitpunkts, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht wurde“, wurde in der neuen Richtlinie nuanciert und bezieht sich nun auf den Zeitpunkt, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurde oder zu dem es die Kontrolle des Herstellers verließ.

Zweitens – und dies ist wahrscheinlich die radikalste Änderung der gesamten Richtlinie – wird in Artikel 10 die Vermutung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts in den folgenden sechs Fällen eingeführt:

(i) Der Beklagte unterlässt es, relevante Beweismittel offenzulegen.

(ii) Der Kläger weist nach, dass das Produkt verbindlichen Anforderungen des Unionsrechts oder des nationalen Rechts nicht entspricht.

(iii) Der Kläger weist nach, dass der Schaden durch eine offensichtliche Funktionsstörung des Produkts bei vernünftigerweise vorhersehbarem Gebrauch oder unter normalen Umständen verursacht wurde.

(iv) Wenn festgestellt wird, dass das Produkt fehlerhaft ist und dass der entstandene Schaden seiner Art nach typischerweise auf den betreffenden Fehler zurückzuführen ist.

(v) Wenn es den Kläger insbesondere aufgrund der tehnischen oder wissenschaftlichen Komplexität übermäßig ist, die Fehlerhaftigkeit des Produkts oder den ursächlichen Zusammenhang zwischen dessen Fehlehrhaftigkeit und dem Schaden oder beides zu beweisen.

(vi) Der Kläger nachweist, dass es wahrscheinlich ist, dass das Produkt fehlerhaft ist oder dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Fehlerhaftigkeit des Produkts und dem Schaden besteht.

Die Auswirkungen dieser besonderen Änderung werden unmittelbar für die Hersteller spürbar sein, die sich nun auf eine deutlich geringere Beweislast für den Nachweis der Fehlerhaftigkeit einstellen müssen.

VI. Verteidigungen

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten von Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe (e) der Richtlinie abweichen können: in diesem Fall können die Hersteller auch dann haftbar gemacht werden, wenn sie nachweisen können, dass der objektive Stand der Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme des Produkts oder in dem Zeitraum, in dem sich das Produkt unter der Kontrolle des Herstellers befand, nicht erkannt werden konnte.

Nach Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie haften die Softwarehersteller weiterhin für Fehler, die nach dem Inverkehrbringen oder der Inbetriebnahme ihres Produkts auftreten.

Insgesamt bleiben Umfang und Ausmaß der Auswirkungen dieser Gesetzesänderung noch mindestens zwei Jahre lang abzuwarten; die Bestimmungen der Richtlinie werden erst ab dem 9. Dezember 2026 für alle in Verkehr gebrachten oder in Betrieb genommenen Produkte gelten. Die grundsätzliche Unsicherheit im Zusammenhang mit diesem Rechtsakt ist jedoch schon jetzt offensichtlich: Ist die Richtlinie zu klägerfreundlich? Das Spektrum möglicher Kläger und Beklagter ist nun breiter; die Definition eines Produkts und des potenziellen Schadens, der aus seiner Fehlerhaftigkeit resultieren kann, wurde ebenfalls erweitert; Hersteller müssen nun in einer Reihe von Fällen mit einer starken Vermutung der Fehlerhaftigkeit rechnen; eine wichtige Einrede, die Herstellern zur Verfügung steht, kann nach dem Ermessen der Mitgliedstaaten ignoriert werden; und vor allem kann die 10-jährige Verjährungsfrist für Produktfehleransprüche nun auf 25 Jahre verlängert werden, wenn der Kläger einen „latenten Personenschaden“ (Art. 17) hat. Sicher ist, dass sich das Gleichgewicht zugunsten des einzelnen Klägers verschoben hat; es bleibt abzuwarten, ob die Dinge zu weit gekippt sind.

 

 

Sebastian Ricks

Vilá Abogados

 

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9. Dezember 2024