Das Gesetz 3/2012 zur Reform des spanischen Arbeitsrechts brachte, unter anderen, eine wesentliche Änderung bezüglich der Wirkungsdauer von Tarifverträgen. So heißt es in Artikel 86.3 des spanischen Arbeitnehmerstatuts:

“Die Gültigkeit eines Tarifvertrages, nach Kündigung und Ablauf der vereinbarten Dauer, richtet sich nach den im Tarifvertrag enthaltenen Bedingungen

(….)

Ein Jahr nach Kündigung des Tarifvertrages ohne Vereinbarung eines neuen Tarifvertrages oder Erlass eines Schiedsspruches, verliert dieser, sofern nichts anderes vorgesehen ist, dessen Gültigkeit und, falls vorhanden, findet der einschlägige Tarifvertrag höheren Bereichs Anwendung.

Ziel dieser Norm war es, prinzipiell, das System der Erweiterung der Wirkung von Tarifverträgen zu beenden, obwohl dies in der Praxis vielen verschiedenen Änderungen unterlag bzw. Konflikte in der Auslegung verursacht hatte.“

In jüngster Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Spanien (Tribunal Supremo) stellte sich die Frage, ob ein Tarifvertrag, dass bereits nach einem Jahr seit Inkraftreten der Norm 3/2012 ohne Vereinbarung gekündigt worden war, weiterhin gemäß der alten Regel der “Erweiterung der Wirkung” für Arbeitsverhältnisse anzuwenden war. Laut Urteil vom 22. Dezember 2014 erklärt die höchste Instanz, dass die Norm im weiten Sinne auszulegen ist sowie, dass es zwei verschiedene Auslegungskriterien gibt:

a) Eine neue Auslegung in der, nach Ablauf der Gültigkeit des Tarifvertrages, die Rechte und Pflichten der betroffenen Parteien nach dem Gesetz zu regeln sind, so dass die Arbeitsbedingungen vor dem Tarifvertrag angewendet werden müssen.

b) Eine konservative oder schützende Auslegung, kraft welcher die Rechte und Pflichten der Parteien auch nach Ablauf des Tarifvertrages weiterhin nach diesem zu regeln sind.

Das Gericht hat sich schließlich, auch wenn mit 4 abweichenden Sondervota, für die konservative Auslegung ausgesprochen, so dass sämtliche Rechte und Pflichten der Parteien nicht nach Ablauf des Tarifvertrages erlöschen. Dies bedeutet, dass auch wenn förmlich die Gültigkeit eines Tarifvertrages erlischt, dessen Wirkung in der Zukunft erweitert werden könnte. Das wesentliche Argument in dieser Hinsicht ist, dass die Regeln des erlöschten Tarifvertrages vertragliche Natur haben, in der Hinsicht, dass diese in dem Moment der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages in diesen eingegliedert wurden.

Darüber hinaus wird ebenfalls argumentiert, dass die abweichende Auslegung unerwünschte Folgen haben würde, da viele wesentliche Aspekte so wie Arbeitszeiten oder Tätigkeiten der Arbeitnehmer ungeregelt bleiben würden. Dieses Argument wird ebenfalls mit dem Prinzip der Willensfreiheit begründet, in dem Sinne, dass die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich nach dem Arbeitsvertrag richten, und dass diese durch den entsprechenden Tarifvertrag zeitlich angepasst werden.

Dementsprechend wurde entschieden, dass

a) Die Arbeitsbedingungen nach Erlöschen des Tarifvertrages nur durch Anwendung der Bestimmungen des Artikels 41 des Arbeitnehmerstatuts geändert werden können.

b) Neue Arbeitnehmer nicht den Regeln des Tarifvertrages unterliegen, obwohl dies in der Praxis zu Diskriminierungsproblemen führen könnte.

Unserer Meinung nach ist die Entscheidung aus folgenden Gründen kritikwürdig:

a) Sie widerspricht dem Ziel des Gesetzes 3/2012 und dem Willen des Gesetzgebers, der die Verhandlungen zur Vereinbarung eines neuen Tarifvertrages dynamisieren, sowie eine “Versteinerung der Bedingungen des Tarifvertrages” vermeiden wollte, für den Fall, dass keine Vereinbarung zur Verlängerung des Tarifvertrages getroffen wird, so wie es auch in dem Präambel der Reform dargelegt wurde.

b) Das Gericht vertritt eine widersprüchige Auslegung mit regressiven Folgen. Ohne die förmliche Beendigung der Tarifverträge zu bestreiten, wird in der Praxis die Wirkung des Artikels 86.3 (letzter Satz) des Arbeitnehmerstatuts in Frage gestellt, so dass die Wirkung des Tarifvertrages als Inhalt des Arbeitsvertrages verlängert wird und daher weiterhin bindende Wirkung zwischen den Parteien hat.

c) Letztendlich weil dies, in der Praxis, eine Situation von Diskriminierung unter den neuen Arbeitern (die dem Gesetz unterliegen) und den alten Arbeitnehmern (die weiterhin dem erlöschten Tarifvertrag unterliegen) verursachen wird und daher neue Konflikte mit sich bringen könnte.

 

 

Eduardo Vilá

Vilá Abogados

 

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30. Januar 2015