In einem früheren Artikel vom 13. September 2024 mit dem Titel „DER FALL „GOOGLE“: DER CJEU BESTÄTIGT BUSSGELD WEGEN MISSBRAUCHS DER MEHRHEITLICHEN STELLUNG IM INTERNET“berichteten wir über die Aufrechterhaltung der von der Europäischen Kommission (der „Kommission“) im Jahr 2017 gegen Google verhängten Geldbuße in Höhe von 2,4 Milliarden Euro wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung des Unternehmens durch eine bevorzugte Indexierung bei seinen Vergleichsdiensten und Online-Produktangeboten durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). In diesem Artikel berichten wir nun über das Urteil des EuGH vom 24. Oktober (C-240/22 P) („das Urteil“), das im Gegensatz zum „Fall Google“ eine gegen ein anderes multinationales Unternehmen verhängte Geldbuße aus denselben rechtlichen Gründen aufhebt: Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.
Um den Zusammenhang zu verstehen, müssen wir zunächst die zwanzigjährige Geschichte dieses Rechtsstreits rekapitulieren: Die Intel Corporation Inc. („Intel“) ist ein 1989 in Wilmington, Delaware (USA), gegründetes Unternehmen, das sich mit der Entwicklung und Herstellung von Computer-Mikrochips und Verarbeitungseinheiten (CPUs) beschäftigt. Im Anschluss an eine von Advanced Micro Devices Inc. (AMD) am 18. Oktober 2000 eingereichte Beschwerde – AMD ist der Hauptkonkurrent von Intel auf dem Markt für x86-CPU-Mikroprozessoren – leitete die Kommission eine Untersuchung der angeblichen Verstöße von Intel gegen das EU-Kartellrecht ein. Einige Jahre später, am 13. Mai 2009, erließ die Kommission eine Entscheidung, in dem Intel eines fortgesetzten Verstoßes gegen Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) für schuldig befunden wurde (C(2009) 3726) (die „Entscheidung“). Beide Artikel verbieten die missbräuchliche Ausnutzung einer Mehrheitsposition auf dem Binnenmarkt.
An dieser Stelle sei auf die Definition des Missbrauchs einer Mehrheitsposition in unserem vorherigen Artikel verwiesen:
„Eine missbräuchliche Ausnutzung einer Mehrheitsposition liegt vor, wenn sich ein Unternehmen mit einer Mehrheitsposition auf einem Markt so verhält, dass es den freien Wettbewerb ausschalten oder einschränken kann, und zwar sowohl auf dem Markt, auf dem es hauptsächlich tätig ist, als auch auf anderen Märkten, auf die es möglicherweise expandiert.
Eine Mehrheitsbeteiligung an einem Markt wird nach dem Recht der Europäischen Union nicht als illegal angesehen. Unternehmen, die sich in einer solchen Position befinden, müssen jedoch besonders sorgfältig darauf achten, dass ihre Mehrheitsposition nicht missbraucht wird.“
In dieser Entscheidung wurde festgestellt, dass Intel gegen Artikel 102 AEUV und Artikel 54 EWR-Abkommen verstoßen hat, weil es zwischen Oktober 2002 und Dezember 2007 eine Strategie umgesetzt hat, die darauf abzielte, seinen Hauptwettbewerber AMD vom Markt für x86-CPUs auszuschließen.
Diese Strategie war zweifach: Erstens gewährte Intel an vier Originalgerätehersteller („OEMs“) von x86-CPUs – nämlich Dell, Lenovo Group Ltd. (Lenovo), Hewlett-Packard Company (HP) und NEC Corp. – Treuerabatte unter der Bedingung, dass diese OEMs ausschließlich Computer mit x86-CPUs von Intel verkaufen. Unter der gleichen Bedingung gewährte Intel auch Zahlungen an die Media-Saturn Holding GmbH („MSH“), den größten Desktop-Computer-Vertrieb in Europa. Zweitens wurde festgestellt, dass Intel Praktiken angewandt hat, die im Sinne des EU-Kartellrechts „reine Beschränkungen“ darstellen. In den neuen Leitlinienentwürfen der EU-Generaldirektion für Wettbewerb zur Anwendung von Artikel 102 AEUV (veröffentlicht am 20. August 2024) werden diese in den Absätzen. 54 und 60(c) als Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens definiert, das für dieses Unternehmen kein anderes wirtschaftliches Interesse als das der Wettbewerbsbeschränkung hat. Kurz gesagt, die Intel vorgeworfenen Praktiken beinhalteten die Bezahlung von drei OEMs (HP, Acer Inc. und Lenovo), um die Markteinführung von AMDs x86-CPU-basierten Produkten zu verschieben oder zu stornieren bzw. deren Vertrieb einzuschränken.
Das Ergebnis dieser Entscheidung war die Verhängung einer Geldbuße von 1,06 Milliarden Euro gegen Intel. Dies ist der Zeitpunkt, an dem Intel und die Kommission begannen, verschiedene Rechtsmittel gegen die Geldbuße einzulegen, die erst durch das im letzten Monat ergangene Urteil teilweise beigelegt werden konnten. Die Rechtsmittelverfahren lassen sich chronologisch zusammenfassen:
- Juli 2009: Intel erhebt Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) und dem EuGH auf Nichtigerklärung der Entscheidung.
- Juni 2014: Der EuGH weist die Klage in vollem Umfang mit der Begründung ab, dass die Kommission nicht verpflichtet war, die Abschottungsfähigkeit der Treuerabatte von Intel im Einzelfall nachzuweisen (diese Fähigkeit wird durch die Anwendung des AEC-Tests (as-efficient Competitor Test; nachfolgend der „AEC-Test“) nachgewiesen). Die Kommission hatte den AEC-Test erfolgreich angewandt, ohne die von Intel vorgeschlagenen fallspezifischen Umstände berücksichtigen zu müssen, und somit hinreichend nachgewiesen, dass die Rabatte den Wettbewerb einschränken.
- August 2014: Intel legt Berufung gegen das Urteil des EuG vom 12. Juni 2014 ein.
- September 2017: Der EuGH hebt das Urteil des EuG vom 12. Juni 2014 auf und verweist die Sache zur erneuten Prüfung an den EGC zurück. Bezeichnenderweise hat der EuGH in den Absätzen. 138-39 entschieden, dass Treuerabattsysteme rechtmäßig sein können, wenn das Unternehmen, das sie anwendet, nachweist, dass sie nicht geeignet sind, den Wettbewerb durch Abschottungseffekte gegenüber seinen Wettbewerbern zu beschränken. Siehe unseren Artikel vom 27. Januar 2023 mit dem Titel: „DÜRFEN UNTERNEHMEN, DIE EINE MARKTBEHERRSCHENDE STELLUNG EINNEHMEN, EXKLUSIVITÄTSKLAUSELN IN IHREN VERTRIEBSSYSTEMEN VERWENDEN?“ Daher wurde der EuGH angewiesen, den AEC-Test erneut durchzuführen, diesmal unter Einbeziehung der von Intel vorgeschlagenen fallspezifischen Umstände.
- Januar 2022: Der EuG verwirft die Entscheidung teilweise, indem er in Par. 482, dass der AEC-Test von der Kommission nicht korrekt durchgeführt wurde, da sie (laut Abs. 525-27) weder den von Intels Treuerabatten abgedeckten Marktanteil noch die Dauer dieser Rabatte berücksichtigt hat. Der von den Rabatten abgedeckte Marktanteil war vernachlässigbar (0,2-3 % pro Jahr), und sie wurden nur für einige Monate gewährt, wobei die OEMs die Rabattvereinbarungen mit einer Frist von 30 Tagen kündigen konnten (Abs. 102-5). Daher konnte die Kommission nicht genau feststellen, dass Intels Treuerabatte und Zahlungen an MSH die wettbewerbswidrigen Abschottungseffekte haben konnten, die zu einem Verstoß gegen Artikel 102 AEUV und Artikel 54 EWR-Abkommen geführt hätten. Da Intels Verstoß gegen die nackten Beschränkungen bejaht wurde, reduzierte der EGC die Geldbuße lediglich auf 376 Mio. EUR, anstatt sie ganz aufzuheben.
- April 2022: Die Kommission legt Berufung gegen die teilweise Aufhebung der Entscheidung durch den EGC ein. Die Kommission beantragt, der EuGH möge: (i) das Urteil des EuG vom 26. Januar 2022 aufzuheben und (ii) den Fall an den EuG zurückzuverweisen.
- August 2022: Die Bundesrepublik Deutschland wird als Streithelferin im Verfahren zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen.
Am 24. Oktober 2024 hat der EuGH das Rechtsmittel der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen und beiden Parteien ihre eigenen Kosten sowie die Kosten von Intel auferlegt. Die wesentlichen Feststellungen des Gerichts lauten wie folgt:
- Um festzustellen, dass das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens missbräuchlich ist, „muss in der Regel nachgewiesen werden, […] dass das Verhalten die tatsächliche oder potenzielle Wirkung hat, diesen Wettbewerb durch den Ausschluss ebenso effizienter konkurrierender Unternehmen vom Markt zu beschränken“ (Ab. 176).
- Dieser Nachweis, der je nach Art des in einem bestimmten Fall in Frage stehenden Verhaltens die Verwendung unterschiedlicher Analyseschablonen beinhalten kann, „muss in jedem Fall unter Berücksichtigung aller relevanten tatsächlichen Umstände erfolgen, unabhängig davon, ob sie das Verhalten selbst, den oder die betreffenden Märkte oder das Funktionieren des Wettbewerbs auf diesem Markt betreffen. Der Nachweis muss außerdem darauf abzielen, anhand konkreter, greifbarer Anhaltspunkte und Beweise zu belegen, dass das Verhalten zumindest geeignet ist, Verdrängungswirkungen hervorzurufen“ (Ab. 179).
- Der AEC-Test ist die erste Anlaufstelle, um zu beurteilen, ob Treuerabatte geeignet sind, einen ebenso effizienten Wettbewerber wie das marktbeherrschende Unternehmen vom Markt auszuschließen (Ab. 181).
- Der AEC-Test ist jedoch nur eine der Möglichkeiten, eine solche Bewertung vorzunehmen, da er abstrakt zu prüfen versucht, ob der ebenso effiziente Wettbewerber in der Lage ist, das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens zu reproduzieren (Ab. 181).
- Legt ein Unternehmen Beweise dafür vor, dass sein beanstandetes Verhalten nicht in der Lage war, den freien Wettbewerb einzuschränken (insbesondere die behaupteten Abschottungseffekte zu bewirken), so muss die Kommission ungeachtet des vorstehenden Absatzes 4 das Vorhandensein dieser Fähigkeit unter Berücksichtigung aller relevanten tatsächlichen Umstände prüfen (Ab. 330).
Nach zwanzig Jahren Rechtsstreit scheint das Ende dieses Streits in Sicht zu sein. Dieses Urteil ist jedoch nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit, da das Nichtigkeitsverfahren von Intel gegen die Kommission in Bezug auf die Geldbuße in Höhe von 376 Mio. EUR, die wegen Intels Verstoß gegen die „reine Beschränkungen“ verhängt wurde, noch anhängig ist.
Dennoch sollte die wirtschaftliche Tragweite dieses Streits nicht unterschätzt werden: Intel ist nach wie vor der mit Abstand führende Hersteller von x86-CPUs mit einem Marktanteil von fast 70 % und hat es geschafft, eine Geldbuße in Höhe von rund 700 Mio. EUR zu vermeiden. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass die rechtlichen Auswirkungen dieses Falles ebenso weitreichend sein werden wie die wirtschaftlichen: Die Schlussfolgerungen im „Intel-Fall“ und im „Google-Fall“ (in unserem vorherigen Artikel erläutert) fielen zeitlich mit der Veröffentlichung des neuen Leitlinienentwurfs zur Anwendung von Artikel 102 AEUV zusammen.
In den Leitlinien werden von vornherein drei Kategorien von Verhaltensweisen festgelegt, von denen angenommen wird, dass sie Verdrängungswirkungen bewirken: (i) „Verhaltensweisen, für die der Nachweis erbracht werden muss, dass sie geeignet sind, Verdrängungswirkungen zu bewirken“ (Ab. 60(a)); (ii) „Verhaltensweisen, bei denen vermutet wird, dass sie zu Verdrängungswirkungen führen“ (Ab. 60(b)); und (iii) „reinen Beschränkungen“ (Abs. 60(c)).
Der entscheidende Punkt ist, dass in Par. 60(b) „an eine Ausschließlichkeitsbedingung geknüpfte Rabatte“ als eines der Beispiele für Verhaltensweisen aufgeführt sind, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie zu Verdrängungswirkungen führen. In den Absätzen 176 und 179 des Urteils ist dieser Ansatz nun jedoch hinfällig, da er den Nachweis dieser Verdrängungswirkung vorschreibt.
Auf diese Weise sind die Leitlinien unvereinbar mit dem auf einer Vermutung beruhenden Ansatz in Bezug auf die möglichen Verdrängungswirkungen von Treuerabatten, der in diesen Leitlinien verfolgt wird. Es scheint daher unvermeidlich, dass die neuen Leitlinien erforderlich sein werden, um die in den Urteilen zu den beiden Rechtssachen getroffenen Feststellungen umzusetzen, insbesondere die erste. Die tektonischen Platten des EU-Kartellrechts verschieben sich wieder einmal.
Sebastian Ricks
Vilá Abogados
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8. November 2024