I.- EINFÜHRUNG
Der gegenständliche Beitrag enthält eine kurze Analyse der Behandlung des Phänomens der Preisbindung in den sogenannten Verträgen über den Alleinbezug von Mineralölprodukten und über die Anbringung und Verwendung von Unternehmenskennzeichen („contratos de abanderamiento“) durch den spanischen obersten Gerichtshof (Tribunal Supremo) während der letzten Jahre.
Dabei handelt es sich um eine Unterart der “vertikalen Vertriebsverträge” (Vereinbarungen über den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind), welche den Wettbewerbsregeln der Europäischen Union, Artikel 101 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), vormals Artikel 81 ff. des EG-Vertrags, unterfallen.
II.- KONZEPT VON VERTRÄGEN ÜBER DIE ANBRINGUNG UND VERWENDUNG VON UNTERNEHMENSKENNZEICHEN UND MODALITÄTEN.
Verträge über den Alleinbezug von Mineralölprodukten und über die Anbringung und Verwendung von Unternehmenskennzeichen sind Vereinbarungen zwischen zwei wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen: auf der einen Seite der Inhaber einer Tankstelle und auf der anderen Seite der Kraftstofflieferant, der die Tankstelle mit dem benötigten Kraftstoff beliefert und darüber hinaus dem Tankstelleninhaber seine Marke und kommerzielles Image zur Verfügung stellt. Regelmäßig stellt der Kraftstofflieferant außerdem seine Unterstützung in technischen Fragen und beim Verkauf zur Verfügung, wohingegen sich der Tankstellenbetreiber zum ausschließlichen Bezug aller Mineralölprodukte beim betreffenden Lieferant verpflichtet. Es handelt sich daher um einen komplexen Vertrag, dessen Rechtsnatur in Literatur und Rechtsprechung umstritten ist.
Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise können diese Verträge wie Handelsvertreterverträge ausgestaltet sein (wobei der Tankstellenbetreiber die Rolle des Handelsvertreters einnimmt und seine Einkünfte durch Verkaufsprovision erlangt) oder aber wie Vertriebsverträge zwischen unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern (wobei der Tankstelleninhaber seine Einkünfte durch den Weiterverkauf der Mineralölerzeugnisse erzielt).
III.- ANWENDBARKEIT DES WETTBEWERBSRECHTS AUF VERTRÄGE ÜBER DIE ANBRINGUNG UND VERWENDUNG VON UNTERNEHMENSKENNZEICHEN.
Grundsätzlich unterliegen Handelsvertreterverträge nicht dem Wettbewerbsrecht, da diese Vorschriften sich ausschließlich auf exklusive Bezugsverträge zwischen unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern beziehen, nicht aber auf Verträge zwischen Handelsvertreter und Auftraggeber wobei ersterer exklusiv die Produkte im Namen und auf Rechnung des Auftraggebers vermarktet. Allerdings bestimmen die Absätze 12 bis 21 der Leitlinien für vertikale Beschränkungen der Europäischen Kommission (2010/C 130/01) dass in Fällen, in denen der Handelsvertreter gewisse eigene wirtschaftliche und finanzielle Risiken übernimmt, auch diese Verträge dem vorgenannten Artikel 101 AEUV unterfallen.
Die Auflistung der Umstände der oben genannten Leitlinien, zur Bestimmung ob ein echter Handelsvertretervertrag vorliegt ist, ist nicht abschließend und wurde insbesondere im Bereich der Mineralölerzeugnisse in den letzten Jahren durch Auslegung seitens des Europäischen Gerichtshofs als auch des spanischen obersten Gerichts vervollständigt. Im Ergebnis handelt es sich nicht um echte Handelsvertreterverträge, wenn der Tankstellenbetreiber signifikante Risiken übernommenen hat (wie etwa die Verpflichtung zum exklusiven Bezug, die Übernahme der Risiken der Verwahrung der Mineralölerzeugnisse und der Nichtzahlung durch den Endabnehmer, Bezahlung der Mineralölprodukte im Moment der Lieferung an den Tankstellenbetreiber etc.), sodass diese Verträge den Vorschriften des Wettbewerbsrechts unterfallen.
IV.- PREISBINDUNG IN VERTRÄGEN ÜBER DIE ANBRINGUNG UND VERWENDUNG VON UNTERNEHMENSKENNZEICHEN.
In den letzten Jahren musste sich das spanische oberste Gericht mit einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten aus dem Bereich der Verträge über den Alleinbezug von Mineralölprodukten und über die Anbringung und Verwendung von Unternehmenskennzeichen befassen (sowohl in der Modalität der Alleinbezugsverträge, als auch in der Modalität der Handelsvertreterverträge), in denen Tankstelleninhaber eine Verletzung des Wettbewerbsrechts durch die Preisbindung des Mineralölunternehmen geltend machten.
Obwohl das Tribunal Supremo zuerst eine strikte Position einnahm (Urteile vom 20. November 2008 und vom 15. April 2009) und Preisbindungen grundsätzlich für unzulässig hielt, zeichnet sich mit dem Urteil vom 15. Januar 2010 eine stärkere Nuancierung ab.
Im letztgenannten Urteil folgt das Tribunal Supremo den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2008 und 2. April 2009 und legt fest, dass Vereinbarungen bezüglich der Verkaufspreise an Dritte der in Verordnung EWG Nr. 1984/83 vorgesehene Freistellung von Kategorien unterfallen können, wenn der Lieferant sich auf die Vorgabe eines maximalen Kaufpreises oder eines empfohlenen Verkaufspreises beschränkt und der Händler demnach die reale Möglichkeit hat, den Endpreises im Einzelhandel zu bestimmen. Neuere Urteile des Tribunal Supremo vom 10. und 20. Juli 2012 und vom 24. Oktober 2012 bestätigen diesen Standpunkt.
V.- ZUSAMMENFASSUNG.
Während der letzten Jahre und im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat das spanische oberste Gericht seinen strikten Standpunkt aufgegeben. Die neue Linie, die mit dem Urteil vom 15. Jaguar 2012 eingeleitet wurde, wurde in den letzten beiden Jahren wiederholt bestätigt, sodass die Festlegung eines maximalen Verkaufspreises sowie die einer Empfehlung eines Weiterverkaufspreises heute zulässige Praxis ist, vorausgesetzt der betreffende Vertrag räumt dem Tankstelleninhaber die reale Möglichkeit ein, die Mineralölerzeugnisse zu einem anderen Preis an Dritte zu veräußern.
Vilá Abogados
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25. Januar 2013